Wenn Du sähest, wie ich weine, meine Sophie! Ist es denn eine Schande für ein unglückliches und gefühlvolles Wesen, Tränen zu vergießen? Ach, das ist das einzige Süße, was mir bleibt. Denn wenn ich weine, mischt sich in meine Traurigkeit eine gewisse unerklärliche, aber wirkliche Wollust. Oh, meine Freundin, welch ein Gefühl ist die Liebe, da sie so grausame Leiden lindern kann! Wir danken ihr die Kraft, unsern Schmerz zu ertragen, wie wir ihr unsere Entzückungen gedankt haben. Aber das Gefühl des Verlustes ist ebenso lebendig wie das des Genusses und viel dauerhafter. Ach, ich habe alles Glück der glücklichen Liebe gekostet. Nun erfahre ich alle Leiden der verfolgten Liebe… Ich wage nicht zu urteilen, aber ich weine und habe nicht genug Seufzer für alle meine Leiden. Welcher Mut würde ihnen nicht unterliegen, Geliebte? Welche Kraft soll ich nicht unter einer solchen Last zeigen? Kann in mir ein Gedanke, eine Empfindung, ein Gefühl erblühen, das nicht ihr Gewicht vermehrt?
Der gewöhnliche Mensch findet, daß Mut dazu gehört, nicht den Tod zu fürchten. Sollte man nicht sagen, daß sie sehr glücklich sind? Nein, sondern sie lieben nur sich und sind indes stets außer sich. Sie haben tausend Wünsche, tausend Neigungen und nicht eine Leidenschaft. Ach, wenn sie einen einzigen Gegenstand liebten, der ihre ganze Hoffnung machte, der alle ihre Neigungen vereinigte, alle ihre Wünsche! Wenn sie ihn dann verlören, würden sie nichts mehr fürchten, sie würden tollen Schrecken trotzen.
Die Überlegung und der Verstand genügen sicher, den Wert des Lebens herabzusetzen. Aber die Leiden des Herzens lassen ihm keinen mehr. Ach, wer möchte es denn besitzen, wenn er sich seiner nicht mehr erfreuen kann! Ach, Sophie, wir brauchen viel mehr Mut, nicht den Tod zu wünschen als ihn nicht zu fürchten. Da die Zeit, deren übermäßige Dauer ein wahrhafter Tod ist, unsere Freuden verschlungen hat, was sollten wir ihr noch streitig machen, wenn sie sie uns nicht zurückgeben soll? Ach, ich lasse ihr ohne Bedauern alles, was nicht für dich bestimmt ist.
Ich werde mit jedem Tag trauriger, meine Freundin, und ich ergieße wider Willen auf das Papier das Gift, mit dem mein Herz getränkt ist. Du weißt wohl, daß zwei Zeilen, zwei Zeilen von Dir, mich schnell heilen würden. Und gewiß hast Du nicht weniger Not, die Klagen Deines Gabriel zu hören als er, Deinen Trost zu empfangen. Meine Sophie ist, weil sie weniger aufwallend ist, darum nicht weniger gefühlvoll. Und ich fühle alles, was sie in diesen gleichen Augenblicken der Erwartung und der Qual leidet, wo ich lauter, aber nicht bitterer seufze. Wer weiß sogar, ob der Vorzug, alles zu wissen, was ich nicht weiß, nicht eine Qual mehr für Dich, teure Gattin, ist? Ich hoffe wenigstens noch, und vielleicht hoffst Du nicht mehr.
Lebe wohl, meine Sophie-Gabriel, die ich liebe, die ich unendlich mehr anbete, als ich sagen und sie selbst es glauben kann. Ich sende Dir Millionen Küsse, die Du hinnehmen sollst und ich bitte es, dich kräftig zu regen, aber doch nicht so, daß es seine Mama belästigt. Ich liebe dies Kind sehr, aber es soll sich nicht danach gelüsten lassen, je mit meiner Sophie rivalisieren zu wollen.
Du willst mir durchaus nichts von Deiner Schwangerschaft berichten? Ach, wenn ich wenigstens wüßte, daß sie glücklich verläuft, daß Du wenig leidest, daß Du viel gehst, daß das arme Kleine sich regt! Meine liebe Freundin, ich glaube Dir in meinen ersten Briefen einige nützliche Ratschläge über das Verhalten gegeben zu haben, das Du in dieser Hinsicht beobachten mußt. Die stürmische Schwangerschaft, deren Zeuge und sehr aufmerksamer Beobachter ich gewesen bin, hat mich viel gelehrt. Sophie, kleide Dich weit, damit Dein Kind sich nach Wunsch legt. Iß gesunde Speisen, damit es ihm wohl geht und Dir auch. Gib Dich nicht Gelüsten hin, befriedige Deine Wünsche nach Maß, damit es nicht schwach wird, leckerhaft noch launisch. Und vor allem gehe viel, aber strenge Dich dabei nicht übermäßig an, damit Du Deine Niederkunft erleichterst. Ach, ich möchte über diese wichtige Revolution wachen, denn die Gesundheit der Frauen hängt von ihrer Niederkunft ab. Keine Torheiten und erst recht nicht Vorschriften von klugen Frauen, sie sind alle falsch, verderblich und unheilvoll.
Mirabeau an Sophie von Monnier