Mein allerteuerster Freund! Vergangenen Sonnabend habe ich das wichtigste Schreiben, welches ich noch von Ihren Händen erhalten, mit Vergnügen erbrochen und mit der reinsten Freude, die ein redliches, ein zärtliches Herz empfinden kann, gelesen. Fünf freudenlose Jahre haben mich durch mancherlei Widerwärtigkeiten zu dessen frohem Empfange bereitet. Diese langen Prüfungen haben mich die Beschaffenheit meiner Liebe, und die gerechten Gründe dazu, in ihrem ganzen Lichte sehen lassen. Diesen habe ich nun auch die Freimütigkeit zu danken, womit ich nicht allein Ihre mir ewig teure Zuschrift erhalten, sondern mit welcher ich auch diese Zeilen aufsetze. Ich habe nichts von alledem zu fürchten, was Sie mein einzig Geliebter, zu erwägen mir anraten. Ist es meinem Herzen schon damals unmöglich gewesen, den Eindruck zu vergessen, so Sie bei Ihrem Hiersein auf selbiges gemacht, da ich, ohne eine sträfliche Treulosigkeit zu begehen, meine Neigung noch ändern konnte; wie sollte es sich künftig eines Wankelmuts schuldig machen? Eines Fehlers, der nicht anders als mit der Verknüpfung des schändlichen Lasters begangen werden könnte und der mich selbst in meinen Augen verächtlich machen würde? Das beständige Andenken an meinen einzigen und besten Freund wird mich alle Augenblicke an meine Pflichten erinnern. Ich bin niemals durch Zwang zur Tugend genötigt worden; man hat mir ihre Vortrefflichkeit und ihren Wert sehr lebhaft vorgestellt; ihr zu folgen aber hat man meiner eigenen Wahl überlassen. Indessen ist mir dieselbe immer so unendlich schätzbar vorgekommen, dass ich sie aus eigenem freien Willen erwählet. Ich hatte mir fest vorgesetzt, alles Ungemach, was Ihr und Ihren treuen Nachfolgern oft zu begegnen pfleget, lieber zu ertragen, als dass ich auf eine lasterhafte Art glücklich zu sein hätte erwählen sollen. Die Tugend führet die, so sich ihr überlassen, und ganz zu eigen geben, auf den besten Weg; sie zeiget ihnen Glückseligkeiten, die, wenn sie nicht so sehr in die Augen fallen, dennoch von längerer Dauer sind als alle flüchtige, scheinbare Güter dieser Welt. Ich nehme hierbei unsre Freundschaft zum Zeugen. So herrlich hat zuletzt das Ende derselben werden müssen. Unsere Wünsche sind erfüllt. Jetzt liegt es nur noch an mir, Ihnen, mein auserwählter Freund, ein Herz völlig zu übergeben, das Ihnen die Vorsehung schon zugedacht hat und welches durch mancherlei Proben Ihrer Liebe würdig gemacht worden ist. Ich bin fest überzeugt, dass wir beide von Gott selbst einander bestimmt sind. Ich schließe dieses sowohl aus der wunderbaren Art, die unsere Bekanntschaft veranlsset, als auch aus dem geheimen freudigen Verlangen, damit ich immer gewünschet, Ihnen auf ewig anzugehören. Nun, im Namen Gottes, verspreche ich mich Ihnen, mein teuerster und bester Freund, auf mein ganzes Leben mit dem festen Vorsatz, Sie über alles in der Welt zu lieben und Ihnen treu zu sein bis in den Tod. Bei der Fortsetzung Ihrer Liebe wird mir alles Leiden erträglich sein und in meinem Gemüte keine Veränderung verursachen können. Nächsten Posttag sollen Sie ebenfalls ein sichtbares Zeichen zur Bestätigung dieser unserer Verlobung erhalten, weil ich heute nicht damit habe fertig werden können. Ich habe Sie nicht einen Posttag über die Gewissheit meiner Gesinnungen unruhig lassen wollen. Gott lasse den Segen meiner und auch Ihrer teuersten Eltern auf uns ruhen, so werden auch unsere äußerlichen Glücksumstände der inneren Zufriedenheit unserer Gemüter gemäß sein. Ich bitte mir die beständige Fortsetzung Ihrer Liebe aus die meinige verspreche ich Ihnen nochmals bis in mein Grab, und mit welchem Vergnügen unterschreibe ich mich heute zum erstenmal meines innigst geliebten Freundes verlobte Braut und ewig treue Freundin
Louise Adelgunde Kulmus an Johann Christoph Gottsched