Gute Nacht, du lieber Engel! Ach, bist du es, bist du es nicht, so öffne alle Adern deines weißen Leibes, dass das heiße schäumende Blut aus tausend wonnigen Springbrunnen spritze, so will ich dich sehen und aus den tausend Quellen trinken, bis ich berauscht bin und deinen Tod mit jauchzender Raserei beweinen kann, weinen wieder in dich all dein Blut und das meine in Tränen, bis sich dein Herz wieder hebt und du mir vertraust, weil das meinige in deinem Puls lebt. Oh, wenn du mich kenntest, du würdest den Mut verlieren, mich zu lieben, den du nicht fassen kannst, da du mich nicht kennst. – Ich weiß so unendlich viel, dass es mir das Herz zersprengt, es zu sagen, aber sprechen ist ein langsames Totmartern, und lägst du nur eine Nacht in meinen Armen, so solltest du dir meine Liebe an deinen warmen Brüsten ausbrüten und du wüsstest alles, was ich weiß, und brauchtest nicht mehr zu erschrecken über alles, was ich sagen darf, weil ich will. Wahrhaftig, liebes Kind, die Tugend ist zart und man kann nicht mit ihr sprechen, die Jugend soll vom Leben lernen, o du liebe Jugend, warum darf ich dich nicht lehren, nicht wahr, du liebst mich nicht? Ja, das tun die Leute, tue du es auch, denn du glaubst wohl auch, was die Leute wissen ist bös und das Geheime gut. Es mag dir wohl wunderlich werden bei diesen Worten, denn du magst allerhand, was man nicht soll, o ihr armen lieben zweibeinigen Engel in der Hölle und du, Gunderödchen, im Fräuleinstift, was habe ich euch so lieb ihr Teufel und ihr Engel; mein Herz ist keine arme Seele: Alles das schreibe ich in einem süßen drehenden Rausch, die Mondnacht und der Frühling haben sich nicht gescheut, vor meinen Augen das süße heilige Lebenswerk zu vollbringen, und damit das Bewusstsein solcher Wollust nicht verloren gehe, haben sie das Seufzen ihrer Liebe an dem Echo meines Busens gebrochen, und wie sie sich umarmten, verwandelten sie sich in eine goldne, süße, bittre, wollüstige Schlange, die mich mit den lebendigen, drückenden, zuckenden Fesseln ihres Leibes umwand. So saß ich am Berge und sah ins weite Tal, das sich wie ein leichter Berg auf mein Herz warf, und da riss ich die Kleider von mir, dass die Umarmung keuscher sei, wie der Blitz schnell und elektrisch, biss mir die goldne Schlange ins Herz und ringelte wie in gewundener Lust an mir herauf, sie vergiftete mich mit göttlichem Leben und in mir war ein anderes Leben, es zieht mir mit ergebendem Widerstand durch Adern und Mark, und die Schlange zog durch die Wunde nach und ringelt sich jetzt freudig und liebend um mein Herz, es ist zu viel, was ich habe. Drum beiße ich mir die Adern auf und will dir es geben, aber du hättest es tun sollen und saugen müssen. Öffne deine Adern nicht Gunderödchen, ich will dir sie aufbeißen. Oh, ich bin ein arabisches Ross, warum nicht, wenn ich dich hier hätte und du solche Hochzeiten feiern sähest neben mir, so sollte Mondnacht und Frühling uns das Echo sein, das ich ihnen war. (Wenn du mich nicht verstehst, so schreibe mir es, damit ich nicht mehr schreibe.)
Schreibe mir recht vernünftige Briefe, lieber Engel, und wenn du mich lieben kannst, so tue es, kein Tropfen solchen süßen Weins soll verloren gehen. Ich trinke deine Gesundheit mit jedem Blick, den ich in den Frühling tue, und jeder meiner Gedanken an dich ist eine Gesundheit, die ich dem Frühling zutrinke. Wenn du lieb bist, muss ich dich ja lieben, das ist der Liebe Wesen, mein Wesen und dein Wesen. Lebe wohl und habe den Mut, nur darum zu weinen, dass du nicht bei mir bist im Fleische sondern nur in Gedanken, denn beide sind eins, und nur im Abendmahl genießen wir den Gott, denn alles Wort muss Fleisch werden, auch dies Wort der Liebe.
Clemens Brentano an Karoline von Günderode