Du Lieber, teile mir alles mit; du kannst mir alles sagen, und wie stolz, wie zufrieden macht es mich! Du gabst mir Festigkeit! Kurz, wir tun uns gut. (Wie sonderbar, wie schneidend und schmerzend war unser Umgang am Anfang!) Wie verlassen, ja wie ausgelacht komme ich mir ohne dich vor. Mit dir, neben dir, hatte ich zu allem Mut; du lehrtest mich ausführen, was ich für gut halte; du lehrtest mich, was ich wohl in der Welt hätte haben können: du bist der Einzige in der Welt, der mich je lieb hatte, der mich behandelt wie ich andere. Ja, ich bekenne es dir gerne mit dem ganzen Drang der Erkenntlichkeit; von dir lernte ich geliebt sein, und du hast Neues in mir geschaffen…
Ich liebe dich überaus zärtlich wieder, du hast es hundert Mal gesehen; ich könnte mein Leben mit dir zubringen; es ist mein sehnlicher, ernster, jetzt einziger Wunsch; ich weihte es dir in Freude und der größten Befriedigung, ich erkenne deinen ganzen Wert, und nicht ein Pünktchen deines Seins und deiner Liebenswürdigkeit entgeht mir. Ich bin dir treu aus Lust, Liebe und der gelassensten Wahl. Ich habe keine Forderung über dich. Ich bin dein Freund, wie es ein Mann sein könnte. Du bist durch mich in nichts gebunden, ich möchte dir mit meinem Blute dienen. Und ist es nicht natürlich, dass ich endlich – und es geschieht deutlich nur durch dich – erkannt sein will: ich würde ja in dir lieben, jedes Erkennen, und tue es auch. Ich habe genug allein, und Schatten von meinem Feuer koloriert, geliebt; endlich umfang´ ich dich, du lebst und bist du! Denke aber nicht, dass ich dich ganz ohne Unruhe liebe. Dein Besitz ist mir nötig in jedem Sinne. Aber wo Befriedigung war, da würde sie mir ewig Nahrung bleiben. „Ich habe es besessen, das Lebensglück.“ Kindische Menschen chauffieren sich noch nach diesem Besitze. Hat der Himmel eine Zeit ausgesetzt? Ein Schmachten nach diesem Glück trage ich im Herzen; aber so lang ich lebe, bleiben Pfeile, Leiden und Schmerzen nur die Antwort, die Nahrung, und soll ich nie mehr etwas haben, so denk` ich an unseren Sommer und dich!
Rahel Levin an Karl August Varnhagen von Ense | 1808